Sage der Burg Vondern
Wessel von Lohe lebte seit dem tragischen Tode seiner Ehefrau mit seinem vierjährigen Töchterchen Jolant von aller Welt abgeschlossen. Eines Tages forderte Johann von Galen Einlass auf beschworene Waffentreue. Da musste die Zugbrücke fallen. Am trauten Kamin ließ Wessel dem alten Waffengefährten einen Blick in sein gequältes Herz tun.
Er erzählte, wie seine Frau Gostelyn im Banne eines teuflischen Zaubers über die Waghalsbrücke gerannt und nach drei Tagen als Leiche aus der Emscher gezogen worden sei. Nun habe er Angst um seine kleine Tochter Jolant.
Johann von Galen, der wohl wusste, dass gegen den Zauber nur Bräute gefeit seien, schlug seinem Freunde die Verlobung Klein‑Jolantes mit seinen beiden Söhnen vor. Mit 15 Jahren könne diese dann wählen. Wessel war einverstanden. Der Verlobungsakt wurde geschlossen und von dem greisen Pfarrer von Osterfeld gesegnet.
Die Jahre vergingen. Jolant musste sich zwischen dem starken Johann und dem schmächtigen Dietrich entscheiden; dem Wunsche der Väter folgend, wählte sie den stärkeren Johann. Plötzlich gab sie stärkeren Regungen des Herzens nach und warf sich Dietrich an die Brust. Da stieg Wessel der Verdacht auf, dass seine Tochter schon im Banne des Zauberers läge. Ein Gang über die Zauberbrücke sollte ihre Unschuld beweisen.
Der Abend kam. Ungesehen verließ Jolant die Burg, um sie sich selbst durch einen heimlichen Gang über die Waghalsbrücke zu prüfen. Aber eine alte Frau hatte sie beobachtet. Alles stürmte hinaus, um Jolant zu retten. Ungehört verhallte des greisen Pfarrers Mahnung. Mit gezücktem Schwert stürzte Dietrich, der Schmächtige zum Entsetzen aller über die Brücke.
Da lag vor ihm hinter einer riesigen Hecke ein Schloss. Wie verlassen schien es. Es erstrahlte in vollem Glanz. In einem märchenhaft schönen Saale aber tanzten um einen grünen Ritter wohl tausend junge Mädchen. Jolant aber suchte er vergeblich. Unerwartet stand er vor einer schweren Tür, die von zwei hünenhaften Knappen bewacht wurde.
Mit einem Hieb streckte er den einen zu Boden und jagte den anderen in die Flucht. Dann sprengte er die Tür. Da lag Jolant in ihrer reinen Schönheit schlafend auf einem Ruhebett. Sanft hob er sie auf, um sie aus der Zauberburg zu tragen. Höhnisch aber trat ihm der grüne Ritter entgegen
Als Dietrich ihn nach kurzem schweren Streit durchstach, quoll schwarzes Blut aus seinem Herzen. Kaum hatte der Kühne mit seiner kostbaren Last den unheimlichen Ort verlassen, da stürzte das Schloss in sich zusammen. Von einer weißen Taube geführt, erreicht Dietrich die Waghalsbrücke.
Selbstlos wollte er Jolant seinem Bruder in die Arme legen. Doch dieser wehrte ebenso edeldenkend ab. So bewegte sich ein froher Brautzug gen Vondern.
Jolant wurde Dietrichs Frau. Als die Hochzeit in großem Prunk gefeiert wurde, legte Johann das Rittergewand ab und baute sich eine Klause.
*Waghalsbrücke = schmaler Holzsteg, oft ohne Handlauf, als Notweg zu Wasserwehranlagen.